Gesundheit stärken – Familien stärken

Zwei unterschiedliche Fallbeispiele, und doch typisch für die Frauen und Mütter, die Mitarbeiter in den Beratungsstellen und Einrichtungen der Müttergenesung kennen lernen.

Monika S. arbeitet als Krankenschwester. Relativ bald nach der Geburt der beiden Kinder Tom (4 J.) und Sarah (6 J.) hat sie ihre Arbeit im Krankenhaus wieder aufgenommen: Die Möglichkeit der weiteren Berufstätigkeit durch hauptsächlich Nacht- und Wochenenddienste kam der Familie, die dringend auf das 2. Einkommen angewiesen war, sehr entgegen. Auch der Ehemann Peter arbeitet im Krankenhaus. Zu Anfang unterstützen sie die Großeltern. Nachdem der Vater von Monika S. aber durch einen Schlaganfall selbst der Betreuung bedarf, hilft Monika S. auch hier wo irgend möglich. Jahrelang hat die zweifache Mutter alles erledigt und geschafft: ihren Haushalt, die Erziehung von Tom und Sarah, die Unterstützung der eigenen Eltern, ihren anstrengenden Job, die zunehmenden Probleme in der Ehe, ohne dabei zu merken, dass der eigene Körper und die Seele längst Alarmsignale gaben. »Erschöpfungssyndrom« lautet die Diagnose. Aus Kopfschmerzen sind Migräne-Attacken geworden. Schon lange hat Monika S. nicht mehr durchgeschlafen. Immer wieder wird sie von Infekten geplagt, die sie nicht mehr auskurieren kann. Die Erziehung der Kinder wächst ihr über den Kopf. Chronische Rückenprobleme lähmen bei den Alltagsaufgaben. Mit immer mehr Schmerzmitteln hält sie sich »über Wasser«. Auch die Familie und Kollegen reagieren auf sie zunehmend gereizt.

Familie P. freut sich über das Wunschkind Johannes. Die Eltern Petra und Dieter haben sich vor 8 Jahren kennen gelernt. Für beide war klar: Sie möchten eine »richtige Familie« gründen. Dass Johannes heute auf der Welt ist, ist für beide ein Wunder. Nach zwei Fehlgeburten und verschiedenen medizinischen Behandlungen hatten beide die Hoffnung schon aufgegeben. Die Beziehung litt zunehmend unter dem unerfüllten Kinderwunsch. Ehemann Dieter hat vor zwei Jahren einen eigenen Betrieb gegründet und ist sehr stark gefordert, den noch hoch verschuldeten Betrieb »aus der Talsohle zu bringen«. Die komplizierte Schwangerschaft und schwierige Geburt von Johannes hat Petra psychisch und physisch an ihre Grenzen gebracht. Vor allem in den ersten Monaten nach der Geburt fühlt sie sich mit Johannes, der immer wieder krank ist, völlig allein gelassen. Nach einem Umzug in eine größere Wohnung hat die Familie noch keine Kontakte in der Nachbarschaft knüpfen können. Petra ist körperlich entkräftet und immer wieder von Angst- und Schmerzattacken geplagt. Die Kinderärztin rät ihr zu einer Mutter-Kind-Kur.

»24-Stunden-Einsatz« für die Familie

Zwei unterschiedliche Fallbeispiele, und doch typisch für die Frauen und Mütter, die wir in den Beratungsstellen und Einrichtungen der Müttergenesung kennen lernen. Nicht selten erfüllen Mütter ihre Familienaufgabe im Spagat eigener Berufstätigkeit, mit unzureichender Unterstützung durch Partner, unter hohem gesellschaftlichem Erwartungsdruck, bei gleichzeitig schwindender sozialer Unterstützung sowie instabiler werdenden Partnerschaften und in einer durch Mobilität und Flexibilität gekennzeichneten Erwerbsgesellschaft. Schwieriger werdende wirtschaftliche Rahmenbedingungen, »24-Stunden-Einsatz« für die Familie und auch die Zunahme chronischer Erkrankungen im Kindesalter tragen dazu bei, dass eigene Krankheiten verschleppt und chronisch werden können. Vom Gesundheitswesen nur spät erkannt oder häufig bagatellisiert, entstehen über längere Zeit komplexe somatische und psychosomatische Krankheitsbilder sowie burnout-Zustände mit massiven Gesundheitsstörungen und Auswirkungen auf das Gesamtsystem Familie.

Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen und Einrichtungen der Müttergenesung erleben mehr als deutlich, welch große Anstrengungen Familien unternehmen, einen sozial geschützten Raum zu gestalten, in dem eine positive Identitätsbildung für die Kinder, aber auch für alle anderen Familienmitglieder, in einer zunehmend unübersichtlich werdenden Gesellschaft geschehen kann. Alte Leitbilder auch für die Rolle von Mutter und Vater, sind schleichend abgelöst, ohne dass in gleichem Maße gesellschaftliche Vorbilder zur Verfügung stehen.
Gleichzeitig sind hohe gesellschaftliche Ansprüche formuliert, die komplexen und verantwortungsvollen Aufgaben – beispielsweise der Versorgung und Erziehung der Kinder – auf jeden Fall perfekt auszuüben. Widersprüche, Unsicherheiten, Überforderungen sind vorprogrammiert.

Was ist das Anliegen?

Die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung und die anderen Träger im Müttergenesungswerk unterstützen mit Beratungs- und Gesundheitsangeboten, die auf dieses typische Belastungsbild ausgerichtet sind. Indem Mütter und Väter in ihrer Gesundheit und in ihren Aufgaben der Familienverantwortung gestärkt werden, wird gleichzeitig die gesamte Familie gestärkt. Darüber hinaus setzen sich die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung und das Müttergenesungswerk mit seinen Trägern in Sozial- und Gesundheitspolitik für die Gesundheit von Müttern und adäquate Rahmenbedingungen ein, sowie mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit für Informationen. Mit Sammlungs- und Fundraising-Aktivitäten bemühen sich die Träger im Müttergenesungswerk um Finanzmittel, damit eine notwendige Vorsorge/Rehabilitation nicht an der mangelnden Finanzkraft der Familie scheitern muss.
Dass es sich hier nicht nur um eine individuelle Gesundheitshilfe, sondern um eine Aufgabe von hoher gesamtgesellschaftlicher Bedeutung handelt, dokumentiert die traditionsgemäße Schirmherrschaft durch die Ehefrau des Bundespräsidenten.

Wie sieht das Angebot aus?

Im Netzwerk der KAG Müttergenesung arbeiten bundesweit

• 470 Beratungsstellen (bei Caritas- oder Frauenverbänden) für Frauen in gesundheitlicher Belastungssituation,

• 23 Vorsorge/ Rehabilitations-Einrichtungen, die einem eigenen Qualitätskonzept verpflichtet sind.

Mütter- oder Mutter-Kind-Kuren bieten frauenspezifisch ausgerichtete und interdisziplinär strukturierte Gesundheitsmaßnahmen. Neben medizinischer Behandlung sind beispielsweise psychologische und psychosoziale Beratung, psychotherapeutische Maßnahmen und Sport- und Bewegungstherapie sowie Ernährungsberatung Elemente der ganzheitlichen Therapie. Im Rahmen der Beratung werden auch Fragen der gesamten Lebenssituation der Familie und der Erziehungssituation erörtert. Im Gegensatz zur Mutter-Kind-Maßnahme bietet die Mütterkur eine Möglichkeit der Vorsorge/Rehabilitation ohne Kinder. Auch für Väter in gleicher Situation gibt es Angebote als Vater-Kind-Maßnahme.

Für Frauen mit besonderen Krankheitsbildern und in besonderen Lebenssituationen (z. B. allein erziehend, Kinder mit Behinderung, Trauer) gibt es spezielle Schwerpunktmaßnahmen. Viele Einrichtungen unterhalten ergänzende Präventivprogramme in Form von Auftank- oder Gesundheitswochen oder Gesundheitstagen. Die Beratungsstellen erörtern mit den Familien die Gesamtsituation und vermitteln, wenn erforderlich, weitere Hilfen, wie beispielsweise Ehe-, Erziehungs- oder Schuldnerberatung.

Wer nimmt die Maßnahmen in Anspruch?

Grundsätzlich können alle Frauen, die Kinder erziehen und erzogen haben und für die eine medizinische Indikation besteht, eine Mütter- oder Mutter-Kind-Kur beantragen. In Abgrenzung zu einer sonstigen Rehabilitation gilt, dass die Gesundheitsstörung in engem Zusammenhang mit der Familienverantwortung und –belastung steht und familiäre Kontextfaktoren und Auswirkungen eine zentrale Rolle für die Therapie einnehmen. Neben psychischen und psychosomatischen Krankheitsbildern sind Wirbelsäulenerkrankungen, Allergien- und Hauterkrankungen, Ernährungsstörungen und Atemwegserkrankungen am häufigsten. Bei Mutter-Kind-Kuren können gleichzeitig Erkrankungen des Kindes mitbehandelt werden und die Mutter-Kind-Beziehung gefördert werden.

72 Prozent der teilnehmenden Mütter sind in der aktiven Erziehungsphase und im Alter von 26 bis 40 Jahren. Bei älteren Frauen überwiegt in der Regel eine Familienbelastung, die durch gleichzeitige Betreuung und Pflege behinderter oder pflegebedürftiger Angehöriger gekennzeichnet ist. Auswertungen zeigen, dass die gesundheitliche Belastung in hohem Maße durch negative sozioökonomische und psychosoziale Faktoren verstärkt wird. Ca. 30 Prozent der Maßnahmeteilnehmerinnen sind allein erziehend. Ebenso sind kinderreiche Familien und Familien im unteren Einkommensdrittel überrepräsentiert.

Margot Jäger